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24.04.2023

Der erste Mai

Ottakring Fahne

Der erste Mai
(Stefan Eckensperger, Sektion 10)

Als Ottakringer Sozialdemokrat*innen ziehen wir auch dieses Jahr am 1. Mai wieder zum Rathausplatz, um dort mit unseren Genoss*innen aus ganz Wien den Tag der Arbeit zu begehen. Aber nicht nur hier in Wien, auf der ganzen Welt begehen Linke diesen Tag.

Die Geschichte des 1. Mai als Kampftag der Arbeiter*innenbewegung geht zurück bis ins Jahr 1889. Am Gründungskongress der II. Internationale, des Zusammenschlusses sozialistischer Parteien, wurde dieser Tag als der „internationale Kampftag der Arbeiterklasse“ für den Acht-Stundentag festgelegt. Dies geschah in Anlehnung an die Haymarket Riots in Chicago in den USA. Dort hatte 1886 am 1. Mai ein landesweiter Streik zum Erkämpfen eines Acht-Stundentags stattgefunden, der von der Polizei mit großer Gewalt niedergeschlagen wurde. Bei Kämpfen am 3. und 4. Mai wurden hunderte Arbeiter*innen verletzt, ungefähr 30 starben, die Organisatoren wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet.

In Österreich fand die erste Maidemonstration entsprechend am 1. Mai 1890 statt. Organisiert wurde sie von Viktor Adler, der allerdings von der kaiserlichen Justiz verhaftet und eingesperrt wurde, um diese Vorbereitungen zu stören und von Ludwig Bretschneider, dem Sekretär der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Die Regierung versuchte den Streik auch noch auf andere Weise zu sabotieren, so wurde per Erlass ein Streik am 1. Mai zu einer Straftat erklärt.

Der Plan war es, sich im Prater zu versammeln, dem traditionellen Erholungsraum der Wiener Oberschicht.

Auch in den Medien wurde vorab Angst vor der Demonstration verbreitet, es wurde vor Plünderungen, Ausschreitungen und dergleichen gewarnt. Die Presse schrieb in ihrem Leitartikel vom 1. Mai: „Die Soldaten sind in Bereitschaft, die Tore der Häuser werden geschlossen, in den Wohnungen wird Proviant vorbereitet wie vor einer Belagerung, die Geschäfte sind verödet, Frauen und Kinder wagen sich nicht auf die Gasse. Auf allen Gemütern lastet der Druck einer schweren Sorge.“

Auch Stefan Zweig beschreibt in seiner Biographie die Situation ähnlich: „Ich erinnere mich noch aus meiner frühesten Kindheit an den Tag, der die entscheidende Wendung im Aufstieg der sozialistischen Partei in Österreich brachte; die Arbeiter hatten, um zum ersten Mal ihre Macht und Masse optisch zu zeigen, die Parole ausgegeben, den Ersten Mai als Feiertag des arbeitenden Volkes zu erklären, und beschlossen, in geschlossenem Zuge in den Prater zu ziehen, und zwar in die Hauptallee, wo sonst an diesem Tage nur die Wagen und Equipagen der Aristokratie und der reichen Bürgerschaft in der schönen, breiten Kastanienallee ihren Korso hielten. Entsetzen lähmte bei dieser Ankündigung die gute liberale Bürgerschaft. Sozialisten, das Wort hatte damals in Deutschland und Österreich etwas vom blutigen und terroristischen Beigeschmack wie vordem das Wort Jacobiner und später das Wort Bolschewisten; man konnte es im ersten Augenblick gar nicht für möglich halten, daß diese rote Rotte aus der Vorstadt ihren Marsch durchführen werde, ohne Häuser anzuzünden, Läden zu plündern und alle denkbaren Gewalttaten zu begehen. Eine Art Panik griff um sich. Die Polizei der ganzen Stadt und Umgebung wurde in der Praterstraße postiert, das Militär schußbereit in Reserve gestellt. Keine Equipage, kein Fiaker wagte sich in die Nähe des Praters, die Kaufleute ließen die eisernen Rollläden vor den Geschäften herunter und ich erinnere mich, daß die Eltern uns Kindern streng verboten, an diesem Schreckenstage, der Wien in Flammen sehen konnte, die Straße zu betreten.“

Aber natürlich geschah nichts dergleichen. Die österreichische Sozialdemokratie rief zum Streik auf und nahezu die gesamte arbeitende Bevölkerung der Donaumonarchie folgte ihr. Am Vormittag fanden in Wien überall Versammlungen statt, am Nachmittag zogen über 100.000 Arbeiter mit ihren Familien in den Prater. Dabei kam es zu keinerlei Vorfällen, selbst auf rote Fahnen wurde – in diesem Jahr noch – zur Beruhigung der herrschenden Ordnung verzichtet, nur rote Nelken waren in jedem Knopfloch zu sehen. Stefan Zweig beschreibt den Ablauf so „Aber nichts geschah. Die Arbeiter marschierten mit ihren Frauen und Kindern in geschlossenen Viererreihen und mit vorbildlicher Disziplin in den Prater, jeder die rote Nelke, das Parteizeichen, im Knopfloch. Sie sangen im Marschieren die Internationale, aber die Kinder fielen dann im schönen Grün der zum ersten Mal betretenen ›Nobelallee‹ in ihre sorglosen Schullieder. Es wurde niemand beschimpft, niemand geschlagen, keine Fäuste geballt“ Auch die Presse, die schon damals keinerlei Sympathie für die politische Linke hatte, musste ihre Fehleinschätzung zugeben und der Sozialdemokratie ihren Respekt zollen „Der mit ängstlicher Spannung erwartete Feiertag der Arbeiter ist nun vorüber und er hat die Unglücksprophezeiungen der Pessimisten glänzend widerlegt. Es gibt in diesem Augenblicke nur eine Stimme darüber: Die Arbeiterschaft hat sich musterhaft benommen und wir wüssten Leute genug, die mit einem gewissen Hochmuth auf das Proletariat hinabschauen und doch von diesen Männern der Arbeit lernen könnten, wie man eine politische Demonstration mit Würde, Anstand und Achtung vor dem Gesetz vollführt. Keine Gewaltthat, keine Ruhestörung, nicht die geringste der befürchteten Ausschreitungen!“ In diesem Eindruck war die Presse sich, wohl das einzige Mal in ihrer Geschichte, einig mit Friedrich Engels, der über die österreichischen Maidemonstrationen schrieb, dass „auf dem ganzen Festland Österreich und in Österreich Wien, den Festtag des Proletariats am glänzendsten und würdigsten begangen“ hat.

Bereits bei diesem Maiaufmarsch wurde eine Tradition begründet, die es bis heute gibt: Zu jedem Maiaufmarsch wird ein Maiabzeichen gestaltet, das an Teilnehmer des Maiaufmarsches als Erinnerung verteilt wird und verschiedene politische Symbole der Sozialdemokratie zeigt.

In dieser Form wurde der 1. Mai von nun an bis 1914 jedes Jahr begangen. Im ersten Weltkrieg, in dem die Parteiführung die Monarchie in ihrer Kriegsführung unterstützte, verzichtete der Parteivorstand 1915 und 1916 auf Maidemonstrationen oder -streiks, um „die Kriegsproduktion nicht zu stören“. Erst als im April 1917 der Kaiser die Sozialdemokratie mehr oder weniger aufforderte, einen Maiaufmarsch durchzuführen, wurde dieser, ursprünglich nicht geplante, Aufmarsch durchgeführt.

Allerdings fanden diese Umzüge, nicht zentral statt, sondern in den einzelnen Bezirken. Die erste gemeinsame Demonstration fand erst wieder 1921 statt, wiederum über den Ring in den Prater. Im Jahr 1922 fand der Maiaufmarsch mit einer Kundgebung am Rathausplatz statt, vor dem Rathaus des Roten Wien. 1926 fand der erste Fackelzug der Sozialistischen Jugend statt, der seitdem immer am Vorabend des 1. Mai stattfindet, mit ihm fand auch erstmals das heute beim Maiaufmarsch bekannte Format Anwendung, bei dem Umzüge aus den einzelnen Bezirken sich am Rathausplatz trafen, wo eine Abschlusskundgebung mit Reden stattfand. Der erste Maiaufmarsch in dieser Form fand 1929 statt.

Nachdem die austrofaschistische Christlichsoziale Partei unter Engelbert Dollfuß 1933 das Parlament ausgeschaltet hatte, wurde auch der Maiaufmarsch verboten. Aus Angst vor der Macht der Sozialdemokratie wurden die Innenstadt und vor allem der Ring mit Stacheldraht und Maschinengewehren befestigt und von Soldaten bewacht. Um ein Blutbad zu vermeiden, versuchte die sozialdemokratische Parteiführung nicht, einen Maiaufmarsch durchzuführen, sondern rief zu Spaziergängen auf, mit roter Nelke, roten Tüchern und ganz legal auf den Gehsteigen. Am Nachmittag fand eine Kundgebung im Praterstadion statt. Dies wurde zwar von der Sozialdemokratie als ein schlauer Trick gefeiert, mit dem die Regierung überlistet worden war, diese sah ihr Verbot aber als vollen Erfolg, immerhin hatten sie ohne jeden Widerstand den höchsten Feiertag der Sozialdemokratie abschaffen können. Der Wiener Landesführer der faschistischen Heimwehren feiert sich in einer Rede für diese Idee: "Und wie wir in Wien den 1.-Mai-Aufmarsch verboten haben, da hat man auch gedroht. Ich habe dem Herrn Bundeskanzler damals gesagt: ,Probieren wir es einmal!' Wir haben es probiert, und Sie haben gesehen, nicht mit den Ohrwascheln hat einer gewackelt, sondern aus war's mit dem roten Zauber. So haben wir den Bolschewismus überall...zurückgedrängt“. Allerdings hatten selbst 1933 noch Maiaufmärsche stattgefunden, die (von der faschistischen Regierung verbotene) Kommunistische Partei hatte nämlich zu Märschen in den klassischen Arbeiter*innenbezirken aufgerufen, die sehr gut besucht waren. Dies basierte auf der Überlegung, dass sich die Arbeiter*innenklasse gerade am 1. Mai die Straßen nicht nehmen lassen dürfe.

Ab dem Februar 1934 wurde die Sozialdemokratie endgültig unterdrückt, große Maiaufmärsche waren nicht mehr möglich. Nichtsdestotrotz fanden kleine Demonstrationen in den Bezirken statt, wurden Rauchfänge rot beflaggt und größere Versammlungen im Wald abgehalten. Das war natürlich illegal und wurde von der Polizei brutal verfolgt. Auch im Nationalsozialismus war ein festliches Begängnis nicht möglich, zusätzlich wurde der 1. Mai zum Tag der Deutschen Arbeit erklärt, um sämtliche Veranstaltungen für sich vereinnahmen zu können.

Im Jahr der Befreiung, 1945, fanden in Österreich bereits wieder Maiaufmärsche statt. Diese fanden in den einzelnen Bezirken statt, und wurden, im Geiste des Neuaufbaus der Republik Österreich gemeinsam von den beiden linken Parteien, SPÖ und KPÖ und sogar der ÖVP begangen. Auch die Befreier Wiens, die Soldaten der Roten Armee, nahmen teil. Der erste Maiaufmarsch in alter Form fand mit über 200.000 1946 vor dem Rathaus statt, 1947 auch wieder der Fackelzug der Sozialistischen Jugend. Die Entscheidung, dass man wieder allein marschierte, war Teil einer Politik der SPÖ, in der sich diese stärker vom Kommunismus abgrenzte, anstatt gemeinsam zu arbeiten wie zuvor im Widerstand gegen den Faschismus. Ein engerer Kontakt der Parteibasis mit Kommunist*innen war daher nicht mehr gewünscht, vor allem nicht an einem für das eigene Selbstverständnis so wichtigen Festtag wie dem 1. Mai.

Allerdings nahmen an diesen Maiaufmärschen nicht alle Bezirksparteien teil. Da Liesing vor 1938 kein Teil Wiens gewesen war, nahm die SPÖ Liesing lange nicht am Wiener Maiaufmarsch statt, sondern veranstaltete ihren eigenen, erst 1987 nahmen auch die Liesinger Genoss*innen erstmals am Rathausplatz teil.

Im Lauf der zweiten Republik wurde der Maiaufmarsch zum jährlichen Fixpunkt und Feiertag der Sozialdemokratie, zum „Sozi-Weihnachten“, bei dem gemeinsam politische Forderungen formuliert und politische Erfolge gefeiert wurden.

Der Maiaufmarsch 1981 ist die Ausnahme von diesen festlichen Anlässen. Am 1. Mai 1981 wurde nämlich der Stadtrat für Straße, Verkehr und Energie, Heinz Nittel, am Weg von seiner Wohnung zum Treffpunkt für den Maiaufmarsch ermordet. Die Attentäter waren Mitglieder der palästinensischen Abu-Nidal-Organisation, die den Stadtrat für seine scheinbar pro-israelische Politik und sein Engagement für die Versöhnung mit Opfern des Holocausts als Feindbild sahen. Spontan wurde der Maiaufmarsch, von dem sogar einzelne Züge bereits unterwegs waren, per Rundruf zur Trauer- und Gedenkkundgebung für Nittel umfunktioniert. Es wurde keine Musik gespielt, und sämtliche Fahnen wurden als Zeichen der Trauer eingerollt mitgetragen.

In den Coronajahren 2020 und 2021 konnte kein regulärer Maiaufmarsch stattfinden. 2020 fand der Maiaufmarsch rein online statt, mit Reden, Interviews und Wissensbeiträgen im Fernsehen. 2021 waren nur einzelne Vertreter*innen aller Bezirke am Rathausplatz zugegen, die große Mehrheit musste sich auch diesen Maiaufmarsch im Fernsehen ansehen. Umso größer war die Freude, als es 2022 endlich wieder einen richtigen Maiaufmarsch gab.

Und auch in diesem Jahr trifft sich die Sozialdemokratie in ganz Wien, um zum Rathausplatz zu marschieren. So ist es seit über 130 Jahren, und so wird es auch in Zukunft immer sein, wenn es wieder heißt „Hinaus zum Ersten Mai!“

Quellen

Stefan Zweig: Die Welt von Gestern, 1944
Die Kommunistische Partei Österreichs - Beiträge zu ihrer Geschichte und Politik, 1987
Die Presse: 1. Mai 1890: Revolution im Spazierengehen, 2010
Das Rote Wien – Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie: 1. Mai

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